Wiederentdeckt: Deutschlands erster Weltumrunder auf dem Fahrrad

Cover des damals im Selbstverlag veröffentlichen Buches.
Cover des damals im Selbstverlag veröffentlichen Buches.

Mit dem neuen Interesse am Fahrrad rückten auch seine frühen Pioniere ins Zentrum des Interesses. 1984 feierten die Amerikaner ihren Thomas Stevens, der hundert Jahre zuvor mit dem Hochrad die weglosen USA durchquerte und danach gleich noch Europa und Asien, um zweieinhalb Jahre später wieder in San Francisco anzukommen. Der zweibändige Bericht des Pioniers „Around the world on a bicycle“ war damals ein Bestseller wie auch die deutsche Ausgabe, die ich 1984 nochmals in der Edition Erdmann herausgab. Aber wo blieben seinerzeit die Deutschen?


Ein Beitrag von Hans-Erhard Lessing.



Erst in den 1950er Jahren gab es den Journalisten Heinz Helfgen und seinen Bestseller „Ich radle um die Welt“, und vermutlich glaubten seine Leser damals er sei der Pionier in diesem Extremtourismus gewesen…

Doch in den vergilbten Radfahrjournalen des letzten Jahrhunderts finden sich vereinzelte Hinweise auf einen Heinrich Horstmann aus Barmen, der 1895 bis 1897 die Welt auf einem Niederrad umrundet habe. Das Gesamtverzeichnis der deutschen Bücher listet tatsächlich ein Buch „Auf dem Zweirad um die Erde“ von Horstmann im Selbstverlag auf.
Bloß verliefen meine blinden Fernleihversuche in der Bundesrepublik, in Osterreich und in der Schweiz alle negativ – das Buch war nicht mehr aufzutreiben. Blieb nur der mühsame Weg, die Bewegungsdaten Horstmanns in seinem späteren Leben zu rekonstruieren, um gegebenenfalls Nachkommen aufzufinden. Die Meldeunterlagen von Wuppertal (früher Barmen-Elberfeld) sind im Krieg verbrannt. Immerhin hatte ein Bericht als Geburtsort das Dorf Heessen bei Hamm genannt, und wenn nicht das Stadtarchiv Hamm 1952 einen Zeitungsausschnitt unter dem Stichwort Horstmann abgelegt hätte, mit der Wiederholung eines 1939er Interviews der Berlinischen Illustrierten, wäre die Suche endgültig gestrandet.
Das war das richtige Stichwort: Die Berliner Meldeunterlagen über Horstmann waren nicht verbrannt – er ist 1945 vier Tage vor der Kapitulation in seiner Villa in Berlin-Lankwitz gestorben. Über die Berliner Nachlaßgerichte fand sich jetzt sein 77jähriger Enkel, der sogar noch Horstmanns Tagebuch besitzt aber ein gedrucktes Buch? Nie gehört! Letzter Versuch – Anruf bei der Wuppertaler Stadtbibliohek… Jawohl, haben wir (es ist das einzige bekannte Exemplar!).

Heinrich Horstmann (1874-1945) wollte Kaufmann werden, mußte aber Schmied lernen, war in der Dortmunder Nähmaschinen- und Fahrradfabrik Stutznäcker beschäftigt, dann in einer Elberfelder Exportfirma Handlungsreisender. Seine am 2. Mal 1895 in Dortmund (dort Sponsor Stutznäcker) begonnene Weltumrundung verband er mit einer originellen Wette: ohne einen Pfennig loszufahren und nach zwei Jahren mit 5.000 Mark zurückzukehren. Seine Eltern waren strikt dagegen, daß der Minderjährige sich derart in Gefahr begebe, denn sein Vorbild der deutsch-amerikanische Weltumradler Frank Lenz war just in Kurdistan ermordet worden.
Horstmann scheint die Wette und die ausgesetzten 2O.OOO Mark verloren zu haben, denn er kehrte erst nach zweieinhalb Jahren zurück. Beim belgischen König Leopold II. und dem späteren US-Präsidenten McKinley war er zur Audienz. Seine eigentliche Leistung war die strapaziöse Durchquerung der weglosen USA. Er reiste entlang der Southern Pacific Railway durch die Wüsten New-Mexicos, wobei er einen Wegelagerer in Notwehr erschoß. In Indien verhinderte eine Cholera- und Typhusseuche die Fortsetzung der Radreise – Horstmann fuhr per Schiff nach Venedig. In Traunstein mußte er gleich zur Musterung und erzielte: wehruntauglich!

Im weiteren Leben war er Fahrrad-Importeur und hatte zuletzt eine Zigarren- und Weinhandlung am Rankeplatz in Berlin, wohin ihn sein Chauffeur per Horch-Achtzylinder-Limousine fuhr – denn er selbst hatte nie einen Führerschein.


Reprint: Meine Radreise um die Erde
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