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Experte zu Forderungen der Länder "Parken müsste 15 Euro am Tag kosten. Jeden Tag"

Die Länder wollen den Radverkehr sicherer machen, CDU und CSU im Bundestag finden das ungerecht. Mobilitätsexperte Andreas Knie sagt: Beide Seiten diskutieren am eigentlichen Problem vorbei.
Für Radfahrer in deutschen Innenstädten ist es ein Parkours: Ein Fahrradfahrer weicht einem auf dem Radweg haltenden Lieferwagen aus

Für Radfahrer in deutschen Innenstädten ist es ein Parkours: Ein Fahrradfahrer weicht einem auf dem Radweg haltenden Lieferwagen aus

Foto: Sonja Wurtscheid / DPA

SPIEGEL ONLINE: Herr Knie, sind die 15 Maßnahmen, die die Verkehrsminister der Länder für mehr Sicherheit im Radverkehr empfehlen, hilfreich oder nicht?

Andreas Knie: Die Maßnahmen sind alle nicht falsch. Aber insgesamt ist das Kleinkram, das sind nur symbolische Maßnahmen. Wir haben derzeit einen Rechtsrahmen, der ausschließlich auf die Förderung großer Autoflotten ausgerichtet ist. Da kann man nicht einzelne Symptome bekämpfen und so das Problem lösen.

SPIEGEL ONLINE: Was ist denn das Problem?

Knie: Wir brauchen mehr Raum auf der Straße für andere Verkehrsmittel als für fahrende oder abgestellte Autos. Die 15 Forderungen sind aber viel zu kleinteilig angelegt und deshalb nicht geeignet, um die Verkehrswende einzuleiten.

SPIEGEL ONLINE: Aber brauchen Radfahrer in Deutschland wirklich mehr Platz? Schließlich stehen vor allem die Autofahrer im Stau.

Zur Person
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WZB/DAVID AUSSERHOFER

Andreas Knie ist Leiter der Forschungsgruppe Wissenschaftspolitik am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Der Professor für Soziologie gilt als einer der führenden Mobilitätsexperten in Deutschland. Für SPIEGEL ONLINE erklärt Knie den Verlauf der Verkehrswende in loser Folge anhand von Grafiken und Zahlen.

Knie: Die Menge der Radfahrer hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Die Radwege sind nur ein paar Prozent mehr gewachsen. Wir haben Staus auf Radwegen, wir erzeugen praktisch täglich gefährliche Situationen.

SPIEGEL ONLINE: Also ist das Auto als Verkehrsträger in Deutschland in der Planung überrepräsentiert?

Knie: Viel zu stark. Wir kommen aus einer Rechtsordnung, in der das Auto immer Vorrang hat. Den müssen wir ihm nicht überall, aber in vielen kleinteiligen mobilen Welten nehmen. Das heißt, es muss mehr Platz für andere Verkehrsteilnehmer geschaffen werden und diese Verkehrsteilnehmer müssen sich dann wiederum auch an Regeln halten - in diesem Fall die Radfahrer.

SPIEGEL ONLINE: Aber nimmt man damit den Autofahrern nicht ein Stück Freiheit?

Knie: Nein. Die CDU schwingt sich hier zwar auf, den Hort der Freiheit zu verteidigen, doch das ist die Freiheit einiger weniger. Tatsächlich geht es hier um mehr Mobilität und damit um mehr Freiheit für alle.

SPIEGEL ONLINE: Aber ist es in staugeplagten Städten nicht kontraproduktiv, dem Auto noch mehr Platz wegzunehmen?

Knie: Es geht nicht um den Platz, wir haben zu viele Autos. Es gibt fast 48 Millionen Pkw in Deutschland, wir können also alle in unsere Autos einsteigen und wären maximal zu zweit im Wagen. Das ist viel zu viel. Es ist besser und gerechter, die Zahl der Autos zu reduzieren.

SPIEGEL ONLINE: Viele Autofahrer würden dem entgegenhalten, dass sie die vorhandene Infrastruktur mit Steuern finanziert haben. Jetzt sollen darauf Fahrräder fahren. Ist das nicht ungerecht?

Knie: Es stimmt nicht, dass Autofahren das Autofahren bezahlt. Die Mineralölsteuer finanziert die Kosten der Infrastruktur nicht einmal ansatzweise. Es gibt eine große Deckungslücke, wir alle bezahlen mit viel Geld für die Infrastruktur. Deshalb ist es umso wichtiger, diese Infrastruktur möglichst gut aufzuteilen. Im Moment ist es ein völlig asymmetrischer Verteilungskampf, in dem das Auto viel mehr Platz okkupiert, als es für uns alle gut ist.

SPIEGEL ONLINE: Was muss sich für eine einvernehmliche Lösung ändern?

Knie: Es muss zuerst mal die Einsicht da sein, dass wir zu viele Autos haben. Das muss die Grundlinie der Politik sein. Danach sollte man die Anzahl der Autos senken und sie effizienter besetzen. Das ist durch die Digitalisierung im Rahmen von Ridesharing wunderbar möglich. Dann haben wir auch mehr Platz und ein Einvernehmen mit den Radfahrern. Aber wenn wir diese Grundsatzentscheidung nicht treffen, kommen wir nicht weiter.

SPIEGEL ONLINE: Und wie ließe sich die Situation in Deutschland kurzfristig verbessern?

Knie: Es muss eine flächendeckende Parkraumbewirtschaftung her. Das eigene Auto abzustellen muss zehn bis 15 Euro pro Tag kosten, egal ob man vor Ort wohnt oder nicht. Denn die Attraktivität des Autos besteht nur darin, dass man es überall kostenlos, beziehungsweise zu Lasten anderer, abstellen kann. Wenn Sie dem Auto diesen Vorteil nehmen, werden Modelle wie Carsharing, die Autos besser nutzen, deutlich attraktiver. Das führt zu mehr Mobilität mit weniger Autos.

SPIEGEL ONLINE: Würde man damit nicht die deutsche Autoindustrie zerstören?

Knie: Wenn die Verkehrswende nicht kommt, dann ist das der Tod der deutschen Autoindustrie. Wir werden im wahrsten Sinne des Wortes am Blech ersticken. Außerdem erkennt die Autobranche, dass sich ihr Geschäft wandelt. Und dass es ein schlechteres Geschäft ist, ein Fahrzeug nur einmal zu verkaufen, anstatt es mehrfach zu vermieten.