Ein langer Tag im Rad
Wie kommt man zur Fahrradwerkstatt, wenn diese 170km entfernt ist? Thorsten Meyer, aktiv im ADFC Duisburg, hat einen ungewöhnlichen Weg gewählt und berichtet hier von seinen Erlebnissen und Erkenntnissen.
Ende Februar 2022 hatte ich die Möglichkeit, eine lang gehegte Idee umzusetzen und mir ein Velomobil zu kaufen. Hintergrund ist, dass ich seit mehreren Jahren mit einem S-Pedelec zur Arbeit pendle, aber schon seit längerem wieder motorlos unterwegs sein will.
Ein normales Fahrrad kommt aufgrund des nicht so seltenen Gegenwinds für mich aber nicht in Frage, da die Fahrtdauer einfach zu lang werden würde. Ein Velomobil hat hingegen eine gute Aerodynamik und bietet auch Schutz vor Regen. Durch die geschlossene Bauweise wird man nicht mehr nass (von außen, Schwitzen ist ein anderes Thema…).
Nach dem Kauf des gebrauchten Velomobils habe ich schnell festgestellt, dass das Fahrwerk durchaus verbessert werden kann. Vor allem, um die Seitenwindempfindlichkeit zu verringern. Die entsprechenden Teile können online bestellt und dann selbst eingebaut werden. Aber da der Einbau ein gewisses Fachwissen voraussetzt, wollte ich es nicht selbst machen.
Der Service für dieses Velomobil-Modell wird von der Firma Intercity Bike im Niederländischen Dronten durchgeführt. Ein Termin war auch schnell vereinbart.
Stellte sich nur noch die Frage: wie komme ich dorthin? Dronten ist rund 170km von Duisburg entfernt.
- Transporter mieten?
- Velomobil auf dem Dachträger?
- Die Strecke mit dem Velomobil fahren?
Möglichkeit 1 und 2 kosten nicht viel Zeit, dafür ggf. Miete und auf jeden Fall Kraftstoff. Möglichkeit 3 dauert wesentlich länger, Kosten für Kraftstoff entstehen aber nur für Wasser und Müsliriegel. Außerdem war mir der Gedanke, diese Strecke aus eigener Kraft zurückzulegen, wesentlich sympathischer als ein Kfz zu nutzen, nicht zuletzt aus Gründen des Klima- und Umweltschutzes. Der Wetterbericht war auch positiv, was die Entscheidung zusätzlich vereinfacht hat.
Die Streckenplanung habe ich mit Brouter (https://brouter.de) vorgenommen, die Route als GPX-Track exportiert und in Komoot importiert. Damit konnte ich mit dem Smartphone navigieren. Die Vorbereitungen waren abgeschlossen. Mein Ziel war es, spätestens Samstag um 9 Uhr in Dronten anzukommen.
Los ging es daher an einem Freitag „Abend“ um 23 Uhr. Ich hatte zwar schon einige Kilometer mit dem Velomobil zurückgelegt, konnte aber nicht einschätzen, wie es sich auf einer doch deutlich längeren Strecke verhält. Es ist halt doch ein Unterschied, 2x am Tag 34km zur/von der Arbeit zu pendeln mit 8-10h Pause zwischen Hin- und Rückweg, oder ca. 170km am Stück zu fahren.
Der erste Teil der Strecke war einfach, immer an der B57 entlang und dann ab Xanten Richtung Emmerich. Dort den Rhein überqueren, über Elten dann in die Niederlande. In Elten hatte ich das Gefühl, dass mir hier kurz vor der Grenze der Unterschied zwischen deutschen und niederländischen Radwegen noch mal deutlich gemacht werden soll. In den Niederlanden dann über Doesburg und Apeldoorn Richtung Dronten.
Die Fahrt war ziemlich ereignislos. Natürlich hatte ich mich einige Male – trotz Navigation – verfahren. Das ist mir auch in den Niederlanden passiert, führte jedoch auch zu einer netten Begegnung mit der niederländischen Polizei, die mich wieder auf den richtigen Weg führte.
Die Radwegführungen sind auch in den Niederlanden nicht immer klar ersichtlich, jedenfalls nachts und ohne Streckenkenntnis. Dafür sind die Oberflächen deutlich besser als bei uns. Wirklich negativ aufgefallen ist mir aber ein längerer „Fietspad“. Alle ca. 300m eine Querstraße mit Vorfahrt achten für Radfahrende ist jetzt nicht das, was ich mir als Radweg zwischen Ortschaften vorstelle. Vor allem da es an anderen Stellen oft so ist, dass der Radverkehr Vorrang vor dem Kfz-Verkehr hat.
Letztendlich bin ich dann morgens um 8 Uhr an meinem Ziel angekommen. Körperlich war die Strecke völlig problemlos zu bewältigen. In einem Velomobil fährt es sich auch wesentlich bequemer als auf einem Fahrradsattel. Es war tatsächlich mehr eine psychische Herausforderung. Mitten in der Nacht längere Zeit mutterseelenallein an einer Landstraße entlang zu fahren, hat mich doch das eine oder andere Mal zweifeln lassen, ob die Idee so gut war. Dafür war der Sonnenaufgang Erlebnis und Entschädigung zugleich.
Nachmittags um 13 Uhr ging es dann auf den Rückweg, nachdem bei Intercity Bike alles erledigt worden ist. Tagsüber stellt sich die Situation in den Niederlanden dann ganz anders dar. Das Wetter war prima, dementsprechend auch der Verkehr auf den Radwegen. Vor allem innerorts war es ein für mich ungewohntes Gedränge, dazu dann noch motorisierte Roller. Stellenweise fühlte sich das ganze sehr chaotisch an, aber da gegenseitige Rücksichtnahme vorhanden war, ging es doch ganz gut.
Abends wieder zurück in Deutschland, durfte ich auch ziemlich bald wieder die eklatanten Planungsfehler „bewundern“, auf die man hier immer wieder trifft. Elten hatte ich bereits erwähnt?
Kurz hinter Elten nach dem Haltepunkt „Spyker Weg“ endete der linksseitige Radweg plötzlich direkt vor einer scharfen Linkskurve an einer Unterführung. Das ist zwar auf der untenstehenden Karte ersichtlich, aber nicht, wenn man dort langfährt. Die Linkskurve ist durch die Unterführung überhaupt nicht einsehbar, hier kann nur nach Gehör die Seite gewechselt werden.
Erschwerend für mich kam dazu, dass ich hier wegen Platzmangel nicht drehen konnte (ein Velomobil braucht dafür einfach mehr Platz als ein Fahrrad). Schlussendlich habe ich so lange gewartet, bis aus keiner Richtung Verkehr zu hören war und bin dann von der linken Seite in die Kurve reingefahren. Als Familie mit Kindern wäre ich umgedreht und hätte an der eingezeichneten Stelle die Straßenseite gewechselt.
Aber wer denkt sich so etwas aus beziehungsweise wurde hier überhaupt nachgedacht? Warum werden nicht weit vorher Schilder oder Markierungen gesetzt, damit Radfahrende vorgewarnt werden?
Autos werden hier, wenn sie nicht mit angepasster, niedriger Geschwindigkeit unterwegs sind, nicht mehr rechtzeitig bremsen können, wenn dort plötzlich Radfahrende auftauchen. Radverkehr wird hier gedankenlos unberücksichtigt sich selbst überlassen. Wieder mal ein Beispiel für den Stellenwert des Radverkehrs in Deutschland.
So sieht das dann aus der Gegenrichtung aus:
Ein positives Erlebnis auf dem Rückweg war dafür der Alleenradweg zwischen Kalkar und Xanten (Auf alter Bahntrasse von Xanten nach Kalkar (radurlaub.de)). Selbst die „Drängelgitter“ sind dort so aufgestellt, dass mit Lastenrad, Fahrradanhänger oder eben Velomobil problemlos durchgefahren werden kann.
Nach insgesamt 355km war ich dann Samstag um 23:15 Uhr wieder zuhause.
Was habe ich aus der Tour für mich mitgenommen?
- Mit so einem Rad würde ich jederzeit bedenkenlos 150km am Stück zurücklegen.
- Mit einer gewissen Grundfitness ist eine Strecke wie diese reine Kopfsache. Wichtig ist, die Kraft gut einzuteilen und nicht zu schnell zu fahren.
- Die einzigen Gründe, sowas nicht zu machen, sind Zeit und ggf. Wetter.
- Müsliriegel sind wichtig, viele Tankstellen sind nachts geschlossen.
- Für mich war es eine weitere Verschiebung der persönlichen Grenzen und eine „Erfahrung“, die ich nicht missen will!