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Das Mobilitätskonzept für Bergisch Gladbach wurde im Juni 2016 nach einjähriger Beratung mit zahlreichen Veranstaltungen und Bürgerbeteiligung mehrheitlich beschlossen. Ein wesentliches Ziel des Konzeptes war es, den Anteil des ÖNPV und des Radverkehrs auf Kosten des Autoverkehrs deutlich zu erhöhen. Der Radverkehr sollte attraktiver gemacht werden, u.a. durch Anlage von Schutzstreifen und Radfahrstreifen auf den wichtigsten Verbindungsstraßen, durch die Öffnung der Fußgängerzone für Radfahrer und viele (96!) weiteren, konkret benannten Maßnahmen. 

Als erste Maßnahme und als Zeichen, dass es der Stadt Ernst ist mit der Umsetzung des Konzeptes, wurden Anfang Oktober an der Kölner Straße (der Hauptverkehrsstraße von Bensberg nach Frankenforst) Schutz- und Radfahrstreifen angelegt, wobei 39 Pkw-Parkplätze entfallen sind.

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Crashtest für das MobiK – und die Lokalpolitik

Jetzt wurde im März 2017 von Anliegern der Kölner Straße und benachbarter Straßen bei der Stadtverwaltung die komplette Rücknahme dieser ersten Maßnahme des MobiK beantragt. Die vorgebrachten Argumente waren u. a.: 

  •  Die angelegten Streifen seien für die Radfahrer zu gefährlich und das Fahren auf dem Gehweg sei sicherer. 
  •  Die Anzahl der Radfahrer sei zu gering, um eine Aufrechterhaltung der Streifen zu rechtfertigen. 
  •  Es gebe genügend Alternativstrecken, bzw. solche müssen geschaffen werden. 
  •  Die weggefallenen Parkplätze führten zu einer schlechteren Erreichbarkeit eines Ärztehauses für diejenigen Patienten, die nur per Pkw anreisen können. 
  •  Die weggefallenen Parkplätze führten zu einer Überlastung der Parkplätze in angrenzenden Straßen. 

Da diese Argumente für nahezu alle geplanten Maßnahmen des MobiK vorgebracht werden könnten und das MobiK „ad absurdum“ führen würden, nimmt der ADFC zu den Punkten wie folgt Stellung: 

39 Parkplätze sind verschwunden, Anwohner klagen

Parkplätze: Diese sind von Eigentümern und Arbeitgebern zu schaffen, es besteht kein Anspruch auf kostenlose Parkplätze auf öffentlichen Straßen. Die Anspruchshaltung, dass jedes Gebäude direkt per Pkw erreichbar sein muss, ist nicht mehr zeitgemäß und widerspricht dem einhellig verabschiedeten Konzept, mehr Autofahrer zur verstärkten Nutzung des ÖPNV und des Fahrrads zu bewegen („Modalshift“). Die o. a. Anspruchshaltung ist mit eine der Ursachen für den Verkehrsinfarkt in Bergisch Gladbach.

Anzahl Radfahrer: Die Anzahl der Radfahrer, die eine Strecke benutzen, sollte bei der Priorisierung von fahrradfördernden Maßnahmen einen großen Einfluss haben. Bei der Kölner Str. waren die geringen Kosten der Maßnahme und die gewünschte Signalwirkung offensichtlich wichtiger als der Bedarf im Verhältnis zu anderen Strecken. Eine relativ geringe Anzahl von Nutzern rechtfertigt aber nicht die Beseitigung einer grundsätzlich richtigen Maßnahme! Niemand würde z. B. auf die Idee kommen, eine separate Busspur zu beseitigen, wenn diese nur 2 Mal pro Stunde benutzt würde. 

Wenig Platz zwischen LKW und Bordsteinkante

Gefährdung von Radfahrern: Wenn Schutz- und Radfahrstreifen ausreichende Breite aufweisen, die verbleibende Straßenbreite für den Kraftverkehr den Mindestanforderungen entspricht und alle Verkehrsteilnehmer sich regelkonform verhalten, ist die Gefährdung minimal.

Die Breite der Streifen scheint an einigen Stellen nicht auszureichen und sollte überprüft werden. Insbesondere bei der Bergauf-Fahrt, wo viele Radfahrer „schlenkern“, ist eine ausreichende Breite wichtig und erfordert nach Ansicht des ADFC die Bevorzugung des breiteren Radfahrstreifens anstelle des schmalen Schutzstreifens.

Auffällig ist auch, dass in vielen Fällen die Kraftfahrer den erforderlichen Mindestabstand von 1,5 m zu den Radfahrern nicht einhalten. Dies erfolgt teilweise aus Unwissenheit. Hier liegt eine wichtige Aufgabe für die Verkehrserziehung und die Verkehrskontrolle. 

Nutzung von Gehwegen durch Radfahrer: Auf Gehwegen mit der Markierung „Radfahrer frei“ ist der Radfahrer verpflichtet, sich mit seiner Geschwindigkeit der Geschwindigkeit der Fußgänger anzupassen (max. 7 km/h). Darüber hinaus hat der Radfahrer lediglich einen „Gaststatus“, was oft zu Konflikten mit Fußgängern führt. Diese Verkehrsführung bietet sich nur an, wenn der Gehweg breit genug ist und nicht zu stark von Fußgängern frequentiert wird.

Für längere Strecken und schnell fahrende Pendler stellt dies keine fahrradfreundliche Lösung dar. Stattdessen kann ein separater, gut markierter, paralleler Radweg sinnvoll sein (untere Kölner Straße). Ob die Breite des Gehwegs in dem hier zur Diskussion stehenden Abschnitt der Kölner Straße ausreicht, erscheint zweifelhaft. 

Ein großer Nachteil von separaten Radwegen ist innerstädtisch die Gefährdung der Radfahrer durch Kraftfahrer an schlecht einsehbaren Ein- und Ausfahrten, wo die Kraftfahrer in der Regel dem Verkehr auf der Ziel-Straße viel größere Aufmerksamkeit schenken als dem Verkehr auf dem Radweg. Hier kommt gefährdend hinzu, dass bei Pendlern bergab, bzw. infolge vermehrter Pedelec-Nutzung, auf den Radwegen durchaus Geschwindigkeiten von über 25 km/h erreichen und Autofahrer die Radfahrer zu spät erkennen oder deren Geschwindigkeit falsch einschätzen. 

Wenn – wie für Kölner Str. gefordert – parkende Autos auf Parkstreifen zwischen Radweg und Straße wieder erlaubt werden, potenziert sich die Gefährdung der Radfahrer, da einerseits deren Sichtbarkeit durch die parkenden Autos eingeschränkt wird und andererseits eine zusätzliche Gefährdung durch von aussteigenden Insassen unvermittelt in Richtung Radweg geöffnete Autotüren hinzu kommt.

Alle bisherigen leidvollen Erfahrungen der Verkehrspolizei bestätigen, dass innerstädtisch auf den scheinbar sichereren separaten Radwegen und Gehwegen die meisten Verkehrsunfälle passieren und nicht auf der subjektiv oft als gefährlicher empfundenen Straßenfahrbahn. Die Expertise der Verkehrspolizei des RBK sollte unbedingt eingeholt werden. 

Alternativ-Strecken: Die Suche nach Alternativ-Strecken ist grundsätzlich sinnvoll. Die Bergauf-Strecke östlich der Kölner Str. über die Kaule könnte bei entsprechend fahrradfreundlicher Ausgestaltung eine Alternative sein. Auf der westlichen Seite scheint es aus Sicht des ADFC keine realistischen Alternativen zu geben. Generell darf eine Verschlechterung der Radverkehrs-Infrastruktur in der Kölner Straße aber nicht erfolgen, auch nicht dann, wenn allgemein akzeptierte Alternativ-Strecken etabliert sind.

Die Karte zeigt die Lage vor Ort. Wer auf Satellitenmodus umschaltet sieht noch die alte Regelung mit den Parkplätzen. Das Symbol links oben öffnet die Erläuterungen:

Fazit: Eine komplette Beseitigung der angelegten Streifen ist nicht akzeptabel, da es die Verkehrs-sicherheit für Radfahrer eindeutig verschlechtert. Partielle Maßnahmen auf kleinen Teilstrecken sind nur akzeptabel, wenn vorher durch Ausgleichsmaßnamen eine vergleichbare Sicherheit gewährleistet werden kann. 

Auch weitere MobiK-Maßnahmen beseitigen Parkplätze

Abschließend fordert der ADFC die Parteien in Bergisch Gladbach auf, sich stärker zu dem verabschiedeten MobiK zu bekennen und nicht schon die erste Maßnahme nach wenigen Monaten zu kippen. Viele der weiteren fahrradrelevanten MobiK-Maßnahmen sind mit dem Verlust von straßen-bündigen Parkplätzen verbunden und wenn der Verlust von Parkplätzen zu einem K.O.-Kriterium wird, wird von den Bestrebungen des MobiK, die Radinfrastruktur zu verbessern, nicht viel übrig bleiben. 

Was macht die Verwaltung?

Die Verwaltung sollte vielmehr aufgefordert werden, den Planungstand und die nächsten Schritte zur Umsetzung des MobiK klar darzulegen. Das MobiK war sehr optimistisch (s. S. 52): „Mit dem neunstufigen Umsetzungsschema können die Maßnahmen im Radverkehr entsprechend ihrer Dringlichkeit umgesetzt werden mit dem Ziele, im Jahr 2018 das Vorrangroutennetz der Stufe 1 vollständig realisiert zu haben“. Gilt das noch? 

Die Parteien und die Verwaltung müssen sich u. E. von dem offensichtlichen Fehlschluss verabschieden, dass die Verbesserung der Rad-Infrastruktur nichts kosten bzw. nicht viel kosten darf. 

Ohne entsprechend höhere Investitionen für den Radverkehr, die sich im Vergleich zu Investitionen in Turbo-Kreisel und Logistik-Zentren sehr klein ausnehmen, wird aus Bergisch Gladbach keine wirklich fahrradfreundliche Stadt, werden die Ziele des MobiK nicht erreicht! 

Für den Vorstand des ADFC Kreisverband RheinBerg-Oberberg 

Bernhard Werheid Dr. Bernd Beckermann 

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4 Kommentare

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  1. Der Weg die Kölner Strasse bergauf ist bestimmt nicht der verlockenste, auch nicht für den geübten Radfahrer, aber deutlich sichtbar, wo die Reise hin geht, dass kann man schon gut und plakativ erkennen. Verhaltensänderung ist das schwierigste Stück Arbeit, danach wird es besser. Der Politik kann man nur Standfestigkeit wünschen und die Bereitschaft zur Korrektur wo nötig.

  2. Man sollte bitte auch beachten, dass die Parkplatzsituation in Bergisch Gladbach ebenso katastrophal ist wie die Fahrradwegesituation. Hier muss die Stadt mehr Geld in die Hand nehmen um beiden Seiten gerecht zu werden. Für falsch halte ich die Freigabe der Fußgängerzone für Fahrradfahrer,dies gefährdet in erheblichem Maße die Fußgänger insbesondere Kinder und ältere Menschen. Fahrradfahrer (ich bin selbst auch einer) sollten genauso Rücksicht auf andere nehmen, wie sie es selbst von anderen erwarten. Wichtig wäre, dass die vorhandenen Fahrradwege in einen akzeptablen Zustand gebracht werden. Z.B entlang der B506 und von Herrenstrunden in die Innenstadt.

  3. Sehr guter Beitrag. Das Mobilitätskonzept wurde verabschiedet und sollte nun auch politisch umgesetzt werden. Das die Anwohner nicht begeistert davon sind, dass die bisher kostenlosen öffentlichen Parkplätze entfallen ist nicht verwunderlich. Ein Anspruch darauf besteht jedoch nicht und das Allgemeinwohl und der politische Wille sollte Vorrang vor vereinzelt geäußerten Partikularinteressen haben.