3. Juli 1992: Erste Fahrradstation Deutschlands eröffnet in Bielefeld

• Søren Bielke, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek •

 

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Flyer zur Bewerbung der Fahrrad-Station (1992) Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,10/Zeitgeschichtliche Sammlung, Nr. 3487

„Ab sofort ist das Rad am Zug“ – So titelte am 4. Juli 1992 die Bielefelder Zeitung anlässlich der Eröffnung des deutschlandweit ersten Fahrrad-Parkhauses in Bielefeld. Nach drei Jahren planen, rechnen und schließlich bauen konnte sich das Ergebnis sehen lassen.

Die Überlegungen zu dem Projekt begannen Anfang der 1990er Jahre mit dem drohenden Abriss der Expressguthalle des Hauptbahnhofs. Mit Unterstützung der Ideen der örtlichen Fahrradverbände konnte die Stadt Bielefeld die damalige Bundesbahn überzeugen, in dem Gebäude ein Fahrradparkhaus nach Vorbild der niederländischen Nachbarn einzurichten. Der Pressesprecher der Bundesbahndirektion Essen, Manfred Pietschmann, verkündete daraufhin im Februar 1991: „Bundesbahn und Fahrrad passen zusammen wie Faust auf‘s Auge.“ Der Stadt wurde die Expressguthalle kostenlos zur Einrichtung der Fahrradstation zur Verfügung gestellt. Das Vorzeigeobjekt sollte bereits im Mai 1991 mit Beginn der neuen Bahnsaison fertig sein, dies scheiterte jedoch an logistischen Problemen.

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Lage des Fahrradparkhauses mit Entfernungsangabe zu markanten Punkten (1997) Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,10/Zeitgeschichtliche Sammlung, Nr. 4315,6

Dabei waren sich frühzeitig alle Beteiligten einig. Der Fahrradladen Freilauf hatte sich, zusammen mit dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club, als Betreiber der Fahrradstation angeboten. Die Stadt, interessiert an der Zusammenarbeit, drängte die zukünftigen Betreiber zur Eile, worauf dem Liegenschaftsamt bald schon Konzept und Bauplan vorlagen. Die renovierte Fassade sollte dem Ambiente (umgestalteter Bahnhofsbereichs, Stadthalle, Mövenpick-Hotel) entsprechen, ebenso wie das Angebot des Fahrradladens. Eine Werkstatt, das ADFC-Büro, ein Fahrradkurier und -verleih rundeten den Service laut Plan ab. Die Hälfte der 600 qm großen Fläche war als Parkfläche vorhergesehen. Durch den Umbau sollte nichts mehr an die heruntergekommene Expressguthalle erinnern.

Im März 1991 tauchte mit der Velociped GmbH ein neuer Mitbewerber auf, der andere Konditionen als Freilauf anbot. So war die Übernahme der Fahrradstation durch Freilauf davon abhängig, dass eine Personalstelle zur Überwachung der Fahrräder außerhalb der Öffnungszeiten eingerichtet wird, die Kosten hierfür sollte die Stadt übernehmen. Zudem waren Betriebsausfallskosten vereinbart, für den Fall, dass das Fahrradparkhaus nicht so viel Anklang fände wie erhofft. Im Gegenzug sollte die Stadt die Hallenmiete plus die Gebühren für die Stellplätze erhalten. Velociped verzichtete auf die zusätzliche Stelle und die Betriebsausfallskosten. Es wurde vorausgesetzt, dass die Gewerbeflächen Velociped mietfrei überlassen werden. Allerdings war auch keine Bewachung vorgesehen, nur eine Sichtkontrolle durch die Werkstattmitarbeiter. Das Parken jedoch war gebührenfrei geplant, was Freilauf unter Druck setzte. Rudolf Etienne von Freilauf machte direkt klar: „Wir beteiligen uns nicht an einer Billiglösung.“ Der ADFC erklärte dazu, dass eine Bewachung für das Fahrradparkhaus unverzichtbar sei, „weil nur so ausreichender Diebstahlsschutz gewährleistet ist“, und sprach sich damit für die Variante von Freilauf aus.

Das Ergebnis des Planungsauftrages für das Fahrrad-Parkhaus wurde dem Hauptausschuss im August 1991 gleich in der ersten Sitzung nach der Sommerpause präsentiert. Günter Tiemann, der Leiter des Liegenschaftsamts bestätigte, dass bereits Zuschussanträge zu den Umbaukosten gestellt wurden. Wegen noch erforderlicher Ausschreibungen und der Veranschlagung von Geldern im Stadtrat rückte die Eröffnung ins Frühjahr 1992. Im September 1991 zweifelten Vertreter der FDP und der BfB im Haupt- und Finanzausschuss an der Finanzierbarkeit des Projekts. Gisela Schwerdt von der FDP sagte: „Wir können nicht so tun, als lebten wir in der Gründerzeit.“ Auch die Miteinnahmen wurden in Frage gestellt, da man sich nicht vorstellen konnte, wie das wilde, aber dafür kostenfreie Parken auf dem Bahnhofsvorplatz unterbunden werden könne. In beiden Ausschüssen zeigte sich die SPD überrascht, dass nach Zustimmung aller Fraktionen in früheren Sitzungen das Projekt in Frage gestellt werde. Abgesehen von den kritischen Stimmen seitens der FDP und der BfB traf das Projekt aber auf die Zustimmung der großen Mehrheit. Detlef Helling (CDU) betonte, dass das Parkhaus allein schon für die Optik des Bahnhofvorplatzes wichtig sei und man nicht erwarten dürfe, dass eine solche Einrichtung auch noch Geld erwirtschafte. Während sich in einer nichtöffentlichen Sitzung im November Liegenschafts- und Finanzausschuss sowie der Rat wieder einmal mit der Finanzierung des Projektes beschäftigten, lief der Firma Freilauf die Zeit davon. Das Unternehmen sah „unlösbare organisatorische und personelle Probleme“ auf sich zukommen, wenn die abschließende Entscheidung nicht mehr bis Ende 1991 fallen würde. „Wenn wir nicht bis zum Jahresende einen schriftlichen Vertrag mit der Stadt haben, stehen wir als Betreiber nicht mehr zur Verfügung“, erklärte Geschäftsführer Etienne.

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Eröffnung durch OB Eberhard David (1992), Bestand 400,2/ Zeitungen

Mit dem Wunsch, die Fahrradstation möglichst schon Anfang April 1992 zu eröffnen, stand die Firma Freilauf nicht alleine. Nicht nur die Radfahrer, die seit Jahren sichere Abstellplätze in der Innenstadt wünschten, sondern auch die städtische Bauverwaltung drängten auf die lange überfällige Entscheidung. Ein Fahrradparkhaus würde das neue gepflegte Umfeld vor dem Hauptbahnhof deutlich steigern, da Ende März die Umgestaltung im Bereich der Stadthalle beendet sei. Mit zwei Gegenstimmen gab der Finanzausschuss am 26. November 1991 endlich grünes Licht für das geplante Fahrradparkhaus und den Betrieb durch Freilauf.

Am 3. Juli um 10:30 Uhr eröffnete Oberbürgermeister Eberhard David offiziell die Fahrradstation. David kam dem Anlass entsprechend mit dem Fahrrad vorgefahren. Bielefelds Baudezernent Florian Mausbach gehörte zu den ersten, die mit einer Karte für das Fahrrad-Parkhaus ausgestattet wurden. Als ein „Beispiel guter Zusammenarbeit“ lobte Eberhard David am Tag der Eröffnung das Bielefelder Vorzeigeprojekt. Die Bundesbahn stellte die ehemalige Expressguthalle kostenlos zur Verfügung, die Stadt finanzierte den Umbau der alten Hallen, das Land NRW steuerte ein Drittel der Umbaukosten in Höhe von 640.000 DM bei, die Fahrradverbände, allen voran den ADFC, brachten viele gute Ideen ein. Alle Beteiligten hofften nun auf zahlreiche Fahrradfahrer, die das Angebot nutzen. Unter dem Motto „Rail & Radel“ wurden Bahnkunden gezielt auf die Radstation hingewiesen. Als ein „Serviceangebot, das Bielefeld unter anderen Großstädten eine Spitzenstellung einräumt“ bezeichnete Verkehrsdirektor Rudolf Holtkamp die neue Einrichtung. Gefeiert wurde die Eröffnung auch noch am 4. Juli mit einem Tag der offenen Tür mit Vorführungen und Gewinnspielen.

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Baudezernent Florian Mausbach testet die Fahrradständer am Tag der Eröffnung (1992) Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,2/Zeitungen

Das Fahrradparkhaus bot den Pendlern, Umsteigern und Stadtbesuchern einen bundeweit einmaligen Service. In der ehemaligen Expressguthalle entstanden 280 bewachte und überdachte Stellplätzen. Die Öffnungszeiten waren am Bedarf von Pendlern orientiert: werktags von 6 bis 22 Uhr, samstags von 8 bis 22, sonntags von 8 bis 24 Uhr. 1 D-Mark kostete die Parkgebühr am Tag, Monatskunden zahlten 10 Mark, Jahresnutzer 100 Mark. Eigens für das Parkhaus entwickelte die  Leopoldshöher Firma Schürrmann ein neues, diebstahl- und standsicheres Abstellsystem. Die Firma Freilauf bot in einer Werkstatt und einem Laden Hilfe für den Fall der Fälle an. Der integrierte Velokurier hielt Leihfahrräder parat. Das Angebot rund ums Rad vervollständigte die Geschäftsstelle des ADFC, wo Tourenvorschläge, Karten und Beratung für Radler angeboten wurden.

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Besucher der Eröffnung schauen sich die Fahrradstation von Innen an (1992) Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung

Am Montag nach der Eröffnung wurde das positive Bild der neuen Fahrradstation getrübt. Mehr als 100 Fahrräder hatte die Stadt bereits vor dem Hauptbahnhof abgeschleppt und vor das Parkhaus Jöllenbecker Straße bringen lassen. Viele der Bahn und Rad nutzenden Pendler hatten von dem neuen Parkhaus noch nichts gehört und sahen sie sich vor vollendete Tatsachen gestellt. Das Bielefelder Stadtblatt kommentierte: „Es kam einem ja gleich komisch vor. Da standen bei der Eröffnung des Fahrradparkhauses letzte Woche lauter krawattenbehängte Verwaltungsangestellte, die im alltäglichen Verkehr eher hinter den Scheiben der Autos als auf den Sätteln der Räder zu sehen sind. […] Im zuckersüßen Ton wurden denn auch die ´lieben Radfahrer´ von Seiten der Stadt zunächst einmal darauf hingewiesen, daß ihnen die Fahrradständer auf dem Bahnhofsvorplatz nicht mehr zur Verfügung stünden und sie deshalb ihre ´Chance nützen´ und sich am besten ´noch heute einen persönlichen Stallplatz im Fahrradparkhaus sichern´ sollten. Angedeutet wurde das aus der rosafarbenen ´Bielefeld-Information!´, die den abgestellten Bikes auf den Gepäckträger geklemmt worden war, daß ´zukünftig´ mit einem Abtransport der Räder auf dem Gelände an der Jöllenbecker Straße unterhalb des Ostwestfalendamms zu rechnen sei.“ Trotz der schriftlichen Vorwarnung kam die Fahrrad-Abschleppaktion überraschend und wurde vom ADFC in einer Presseerklärung als „unverhältnismäßig, verfrüht, rechtlich höchst bedenklich und höchst unklug“ bezeichnet. Die Akzeptanz der Einrichtung werde durch diese Aktion nicht erhöht.

Nur wenige Wochen nach Eröffnung des Fahrradparkhauses zeigte sich, dass die geplanten Öffnungszeiten und Stellplätze nicht ausreichten. Vor allem Schichtdiensttätige und Pendler wurden durch die bisherigen Öffnungszeiten nicht angesprochen. Auch Schließfächer wurden gewünscht, so dass zum Beispiel der Fahrradhelm vor Ort gelassen werden könnte. Als Antwort auf die Kritik wurden die Öffnungszeiten um je eine halbe Stunde vor und nach der bisherigen Zeit verlängert.

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Übernahme durch die mobiel GmbH (2003) Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,10/Zeitge-schichtliche Sammlung, Nr. 4315,25

Vier Monate nach der Eröffnung waren im Fahrradparkhaus täglich bereits mehr als 70 % der Stellplätze besetzt. Die Akzeptanz der Einrichtung zeigte sich vor allem durch die hohe Auslastung der 280 Fahrradständer durch Dauerkunden, was sich jedoch finanziell negativ auswirkte. Der von der Stadt geplante jährliche Zuschuss von 50.000 D-Mark, würde schon 1993 nicht reichen. „Wir brauchen rund 30.000 Mark mehr“ rechnete Sabine Heide vom Fahrradladen Freilauf aus. „Wir haben zwar nur eine Auslastung von gut 50 Prozent zugrunde gelegt, sind aber stillschweigend davon ausgegangen, daß die Plätze überwiegend von Tageskunden gemietet werden“, so Heide. Dadurch entstand ein monatliches Minus von rund 1.500 D-Mark.

Zur besseren Kostendeckung legte der Rat zum Januar 1994 die Entgelte neu fest. Die Tagesgebühr blieb gleich, Monats- und Jahreskarte wurden jeweils 20 % teurer. Der ADFC sprach sich im Vorfeld gegen die Erhöhung aus und bat den Rat, der Beschlussvorlage nicht zuzustimmen. Er argumentierte, dass die Einnahmen zwar knapp, aber dennoch genauso hoch wie erwartet ausgefallen seien, daher gäbe es keinen Grund für eine Erhöhung. Zudem habe die Eröffnung der Fahrradstation als Modellprojekt einen bundesweit positiven Imageeffekt erzielt durch das Lob auf Tagungen, in Fachpublikationen und in der überregionalen Presse. Der Abbau von Subventionen für die stadteigenen Autoparkhäuser sei besser geeignet, um die schwierige Finanzlage der Stadt zu entlasten. Betriebswirtschaftlich sei es auch unklug, nur die Preise für Dauerkarten zu erhöhen, da eine langfristige Ausnutzung durch möglichst viele Stammkunden wünschenswert sei.

1997 wurden die Stellplätze um 110 auf 390 erhöht. Die Einführung einer Chip-Karte ermöglichte zudem die Ein- und Ausfahrt zu jeder Zeit. Zum 1. Juli 2003 übernahm die mobiel GmbH, ein Unternehmen der Stadtwerke Bielefeld, die Organisation der Fahrradstation. Im Zuge dessen wurde das Fahrradparkhaus offiziell in „Radstation“ umbenannt und renoviert.

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Außenansicht der Radstation (2017) Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung

Die Parksituation für Fahrräder hat sich in der Gegend rund um den Hauptbahnhof bis heute nicht komplett entspannt. In einer Umfrage der Neuen Westfälischen Anfang 2012 waren rund 70 % der Befragten der Meinung, dass es zu wenig Fahrradständer in Bielefeld gibt. Auch wird immer wieder moniert, dass Fahrräder am Mahnmal für die deportierten Juden abgestellt werden. Die Entfernung der Räder, selbst an solch einer sensiblen Stelle, ist rechtlich jedoch bedenklich, da Fahrräder im Prinzip überall abgestellt werden dürfen. In und um den Bahnhof gibt es mittlerweile 370 Parkplätze für Fahrräder, 300 davon im Fahrradparkhaus, 42 Bügel vor dem Eingang des Hauptbahnhofs und weitere 28 Bügel vor dem Eingang der Stadthalle. Mobiel arbeitet weiterhin am Ausbau des Konzepts „Bike and Ride“. So können an mittlerweile sieben Standorten im Stadtgebiet Fahrradboxen gemietet werden, um das Fahrrad sicher abzustellen. Für die beengt arbeitende Radstation am Hauptbahnhof sucht die Stadt im Rahmen der im April 2017 vom Amt für Verkehr gestarteten Offensive bei der Radverkehrsförderung eine größere Alternative. Mit einem Investitionsetat von über 2 Millionen Euro pro Jahr ab 2019 und zwei neu besetzten Stellen soll der Radfahranteil am Gesamtverkehr von 15 auf 25 % bis 2025 erhöht werden.

 

Quellen

  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 210,47/Bielefelder Stadtblatt 31
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,2/Zeitungen
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,10/Zeitgeschichtliche Sammlung, Nr. 3487
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,10/Zeitgeschichtliche Sammlung, Nr. 4315

 

Erstveröffentlichung: 1.7.2017

Hinweis zur Zitation:
Bielke, Søren, 3. Juli 1992: Erste Fahrradstation Deutschlands eröffnet in Bielefeld, https://historischer-rueckklick-bielefeld.com/2017/07/01/01072017, Bielefeld 2017

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