Neumodisches Fahrradfahren
Das stand am Montag 21. September 1896 über das neumodische Fahrradfahren in einer DüsseldorferTageszeitung.

Es wird auch über die schlechten Erfahrungen aus New York berichtet und über die Klagen der Wirte, Barbiere, Schuhmacher, Schneider und Hutmacher.

Auch der Absatz von Zigarren und Alkohol würde unter dem Fahrradfahren leiden.
 
 
Eine Revolution des Fahrrads
 
Es ist eine nicht abzuleugnende Tatsache, dass der Erfindungsgeist des Menschen
eine neue Kraft gefunden für seinen eigenen Gebrauch. Wer hätte vor einem Jahrzehnt, ja noch vor 3 Jahren geglaubt, dass das Fahrrad eine solche Rolle spielen würde und spielen wird. Schon jetzt sehen wir täglich, welch eine kolossale Ausdehnung dasselbe in allen Kreisen der Bevölkerung findet, wie groß die Vorteile sind, die dasselbe im praktischen Leben sowohl, als auch dem Vergnügens suchenden bietet; es ist deshalb interessant, den Artikel des jüngst erschienenen „Forum“ von J. J. Bishop wiederzugeben, umso mehr, da sein humorvoller Vortrag auch viel Beachtenswertes enthält. Noch vor einigen Jahren war nur von einer Fahrradmanie die Rede, und die meisten Leute lachten mitleidig über die Vereine, welche sich diesem Sport hingaben; wie sehr hat sich heute die öffentliche Meinung darüber geändert.
 
Die nackte Tatsache, dass die Menschen eine neue Kraft entdeckt und sich zu eigen
gemacht haben, anstatt fünf oder zehn Kilometer mit mehr oder weniger Beschwerde
zurückzulegen, jetzt zwanzig, fünfzig oder mehr Kilometer zu machen, je
nach unserer physischen Beschaffenheit, ohne Kraftanstrengung, ohne große
Müdigkeit zu empfinden, spricht schon dafür. Das ruhige, sichere Dahingleiten ist
eine für uns ganz neue Empfindung. Es ist ganz verschieden vom Reiten oder Fahren; denn wir scheinen dahinzufliegen. In Wahrheit, der nächstliegende Vergleich ist der des Fliegens Sobald der Fahrer die Kunst gelernt hat, sich auf seinem Rade sicher zu fühlen, wird er mit einem neuen wohligen Gefühl sein Gefährt besteigen. Der Gedanke, sich mit einer bisher unbekannten Schnelligkeit fortzubewegen gibt
der Sache einen eigenen Reiz, den nur der empfinden kann, der selbst sich des Rades bedient.
 
Obschon wir noch nicht Gelegenheit haben, Arbeiterinnen oder Fabrikmädchen auf
ihrem Rade zur Arbeit fahren zu sehen wie es in den Vereinigten Staaten schon
gebräuchlich, so kann doch täglich ein Fortschritt auch bei uns beobachtet werden.
Dass nebenher viele Klagen von Wirten und Geschäftsleuten einlaufen, hindert
diese Fortschrittsbewegung durchaus nicht. Ein New Yorker Barbier erklärte
jüngst, dass sein Geschäft ruiniert sei durch die Fahrradmanie, da die Herren sich
aufs Rad setzten, unbekümmert darum, ob sie rasiert seien oder nicht. Die Wirte
beklagen sich, dass die jungen Leute, anstatt die Wirtshäuser aufzusuchen, ihre
Freistunden benutzen, um zu radeln. Der Schuhmacher klagt über die geringe Abnutzung der Stiefel, da das Fahrrad das Schuhzeug nicht verderbe. Die Schneider
sagen, dass die Kostüme der Radfahrer billig und schlecht seien, da Niemand sich
mehr um den Sitz seiner Kleidung kümmere und nur grobe, haltbare Stoffe wähle.
Am Schlimmsten sind aber die Hutmacher daran, denn die erste Sorge des Radfahrers ist, sich eine bequeme leichte Kopfbekleidung anzuschaffen, und dies sei die Mütze. Im amerikanischen Trade Journal wird bestätigt, dass der Verbrauch von Zigarren und Tabak enorm abgenommen hat, da das Rauchen den Radfahrern lästig sei, der Konsum in Zigarren allein wäre um eine Million pro Tag gefallen.

Reitschulen werden in Fahrradschulen umgewandelt, Knaben und Mädchen sammeln
ihr Taschengeld, um baldmöglichst Besitzer eines Fahrrades zu werden.
Manche dieser Erscheinungen werden aller Wahrscheinlichkeit nach wieder verschwinden, die alten Vergnügungen werden mit der Zeit wieder hervorgesucht
werden, aber einzelne Resultate, die stabil bleiben werden, sind jedenfalls aufzuzählen.
 
Darunter nennen wir zuerst die Wiederbelebung der Landstraßen. Die guten
Wege derselben werden den daran liegenden Wirtschaften zu Gute kommen, anstatt
der verödeten Chausseen sehen wir dieselben wieder wie früher belebt, und
die ländliche Einsamkeit wird wieder verschwinden. Nicht unwahrscheinlich ist es,
dass besondere Verkehrswege in den Städten für Radfahrer eingerichtet werden,
in New York wird bereits der Plan entworfen, einen hochgelegenen Fahrradweg
über die Straßen zu legen.
 
Von ärztlicher Seite ist bereits die gesundheitsfördernde Bewegung des Radelns
hervorgehoben worden, ja, eine hervorragende ärztliche Autorität hat sich dahin
geäußert, dass seit den letzten 200 Jahren keine Erfindung gemacht worden ist, die
so auf die Gesundheit des Körpers wirke; es wird das Fahrrad von vielen Ärzten
als vorzügliches Mittel gegen Rheuma, Indigestion und seine Folgen empfohlen.
Nur die sinnlos dahin rasenden Radler sind die einzigen Widersprüche, die sich dagegen ausführen lassen. Ein gesundes Volk ist in der Regel ein glückliches Volk,
und die allgemeine Verbreitung des Fahrrades ist eins der wenigen Mittel, welches
auch uns dazu verhelfen kann.
Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club
Kreisverband Rhein-Berg
c/o Radstation Bergisch Gladbach
Stationsstraße 3
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