Radverkehrskonzept 2023 – ein Papiertiger mit scharfen Zähnen?
Das von den Büros nts (Münster) und MOBYCON (Delft) erarbeitete Radverkehrskonzept für Bochum wurde dem Beirat Mobilität und damit auch dem ADFC und der Radwende, am 10. Februar präsentiert und ist mit allen Anlagen seitdem auf www.bochum.de/Tiefbauamt/Radverkehrskonzept einsehbar. Es kommt nach den Vorberatungen in den Bezirksvertretungen am 19.4. auf die Tagesordnung des Ausschusses für Mobilität und Infrastruktur und soll im Rat am 4. Mai beschlossen werden. Macht Bochum damit einen großen Schritt in Richtung fahrradfreundliche Stadt? Die Möglichkeit besteht, wenn …..
 
 
Die Ziele sind hoch gesetzt: Man will Radverkehr für die gesamte Bochumer Bevölkerung attraktiv und sicher gestalten und damit für alle Anreize schaffen, das Fahrrad als alltägliches Verkehrsmittel nutzen zu wollen. Durch eine gute zusammenhängende Netzstruktur soll die Erreichbarkeit von Innenstadt, großen Arbeitgebern, Schulen und Hochschulen gefördert werden. Hinzu kommt die Ausweitung sicherer und wettergeschützter Fahrradparkplätze. Als Zielmarke wird für 2030 ein Radverkehrsanteil von 15% an allen Wegen formuliert. Die euphorischen 25% aus der Bewerbung zur AGFS werden als „zukünftiger Zielwert“ definiert.
 
Im Mittelpunkt der Arbeit stand die Analyse des bestehenden Radwegweisungsnetzes der Stadt Bochum sowie des Radnetzes des RVR in Bochum. Akribisch wurde der Zustand aller Wege erfasst und in einem digitalen Radwegekataster festgehalten. So kann jeder Meter des bestehenden Netzes nach 8 baulichen und 4 sicherheitsrelevanten Merkmalen bewertet werden. Hieraus haben die Gutachter für den Bestand ein umfangreiches Handlungskonzept abgeleitet, das klare Prioritäten aufweist und Vorschläge für die Reihenfolge ihrer Bearbeitung macht. Wer sich die erfassten Mängel im Einzelnen ansehen möchte, schaue auf die Karten 23 bis 34. Hier kurz das Gesamtergebnis: Von den insgesamt untersuchten 557 Km weisen 187 einen mittleren und 145 einen hohen Handlungsbedarf auf. Uns Radfahrende überrascht dieses Ergebnis nicht.
Das Planungsamt ist noch in der Überlegung, das Kataster auch für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen, seine Handhabung setze aber ein gewisses Knowhow und eine spezielle Software voraus, heißt es. ADFC und Radwende halten das für sinnvoll. 
 
Neben dieser Bestandsanalyse war es den Verfassern wichtig, für den Ausbau der Radverkehrsanlagen eine einheitliche Gestaltung von vergleichbaren Situationen anzustreben. Für die unterschiedlichen Führungsformen werden jeweils Standards formuliert und ausführlich an Beispielen dokumentiert, die zukunftsfähig sein sollen (Seite 14-32). Wenn im Beirat Mobilität das Konzept als Leitbild für die zukünftige Planung der Radverkehrsanlagen in Bochum dargestellt wurde, lässt das hoffen. In diesem Zusammenhang begrüßte der ADFC ausdrücklich die Ankündigung der Stadt, die Radverkehrsanlagen generell in Rot einfärben zu wollen, die Zustimmung des Rates vorausgesetzt. Die vielen Vorteile rechtfertigten den höheren baulichen und finanziellen Aufwand, so hieß es. Holland lässt grüßen!
 
Schon bald nach der Veröffentlichung des Konzepts gab es Kritik an der neuen Netzhierarchie. Bisher bestand das Radwegenetz aus Haupt- und Nebenrouten. In Zukunft bilden sie das Basisnetz, werden aber ergänzt durch den RS1 und sogenannte Velorouten. Diese, so wurde erläutert, sollen im Nebennetz des KFZ-Verkehrs oder unabhängig davon geführt werden und besonders sicher und komfortabel sein. Die Planer des Radverkehrskonzepts gehen davon aus, dass diese Velorouten schneller und mit geringerem baulichem Aufwand realisiert werden können als die Hauptrouten im Hauptstraßennetz.
 
Bedeutet dies nun eine Fokussierung auf Velorouten, die den Bau fehlender Radinfrastruktur auf den Hauptrouten, bzw. Radialen verzögert?
 
Zunächst ein Blick in das Konzept: Das Netz der Velorouten soll „vorrangig abseits des Vorrangnetzes des Kfz-Verkehrs aufgebaut werden“ (S.77). Auf der nächsten Seite heißt es: sie „können als durchgängige Verbindungen auf den Haupt- und Nebenrouten verlaufen“.  Die Karte 21: Netzhierarchie der Zukunft bestätigt das. Velorouten und Hauptrouten können also auch deckungsgleich werden.
 
Was sagt der Maßnahmenkatalog hierzu? Hier steht die Umsetzung von sechs Schulwegplänen an erster Stelle. Danach kommt für 30 Stellen des bestehenden Radverkehrsnetzes als Sofortmaßnahmen die Beseitigung von Mängeln. Danach kommen an dritter Stelle 16 Maßnahmen, die sich auf Knotenpunkte mit hohem Unfallaufkommen oder unklaren Verkehrsführungen beziehen, sowie die Arbeit an einer Veloroute. Hier wird der Umsetzungshorizont als kurzfristig und die Priorität als hoch eingestuft. Im Maßnahmenkatalog wird zwischen Velorouten und Hauptrouten nur ein Unterschied bezüglich des Umsetzungshorizontes gemacht (mittelfristig / langfristig). Auf Deutsch: Wie lange dauert das? Für beide gilt aber die gleiche Priorität: hoch! Die Stadt versicherte im Beirat Mobilität, dass Hauptrouten und Velorouten parallel geplant und gebaut würden.
 
Für den ADFC eröffnen Velorouten eine Perspektive für Radrouten abseits einer autogerecht gebauten Stadt, insbesondere für Umsteiger. Wenn dies schneller möglich ist als der Umbau der Radialen, so kann man das nur begrüßen.
 
An dieser Stelle konnten nicht alle Bestandteile des neuen RVK besprochen werden. Wir werden darauf noch eingehen. Entscheidend für den ADFC ist die Frage, wie Politik und Verwaltung mit diesem Konzept umgehen werden. Wird OB Thomas Eiskirch, wie vom Beirat Mobilität einstimmig gefordert, die Umsetzung des Konzeptes zur Chefsache machen? Ist die Verwaltung bereit und in der Lage, sich auf das Handlungskonzept einzulassen und die dort ausgewiesenen notwendigen Sofortmaßnahmen, insbesondere die Beseitigung von Gefahrenstellen, wirklich anzugehen? Wird die Versicherung einer Gleichbehandlung von Haupt- und Velorouten Bestand haben? Gelingt es, die sechs Schulwegpläne zeitnah umzusetzen und die notwendigen Voraussetzungen dafür zu schaffen? Ist man bereit, eine effektive Wirkungskontrolle und Qualitätssicherung zu etablieren?
 
Wenn wir beobachten können, dass diese Fragen mit Ja zu beantworten sind, macht Bochum tatsächlich Schritte in Richtung einer fahrradfreundlichen Stadt! Die Möglichkeit besteht!
 
Bernhard Raeder
 
 
Bild: Knotenpunkt einer Fahrradstraße in Münster, Visualisierung © nts Ingenieurbüro
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